Dieser Beitrag ist erschienen im Ergon Magazin SMART insights 2022. Magazin kostenlos bestellen.
Wie sieht ein wirkungsvoller Innovationsprozess aus? Und wie viel Innovation braucht ein Unternehmen überhaupt? Ein Patentrezept für erfolgreiche Business Innovation gibt es nicht. Aber wenn Rahmenbedingungen und Vorgehensweise harmonieren, ist der Erfolg in Reichweite.
PET-Flaschen werden aus einem Rohling geblasen, etwa 100 000 Flaschen pro Stunde. Die Blasventile, ein Herzstück solcher Anlagen, produziert die Eugen Seitz AG mit Sitz in Wetzikon. Mit der Einführung eines intelligenten Blasventils wollte das Unternehmen einen «digitalen Mehrwert» für seine Kund:innen schaffen. Die intelligenten Ventile sollten sich selber überwachen und automatisch melden, wenn etwas defekt ist. Das war zumindest die Idee, mit der das Unternehmen an Ergon gelangte. In einem gemeinsamen Workshop entstanden daraus weitere Geschäftsideen. Die aufbereiteten Sensordaten der neuen Ventile liefern nämlich wichtige Daten. Mit diesen lässt sich die Produktivität steigern – und gleichzeitig der Energieverbrauch sowie der Materialaufwand senken. Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie Innovation zum Business wird.
Transformationen sind Chancen
Stetiger Wandel gehörte schon immer zum Erfolgsrezept langfristig denkender Unternehmen. Mit Data Science und KI-basierten Ansätzen erhalten Unternehmen noch nie dagewesene Chancen: Sie automatisieren Wertschöpfungsschritte und ermöglichen das Auswerten riesiger Datensätze in Echtzeit. Cloudbasierte Ansätze verschlanken Infrastrukturen und machen sie flexibel. Offene Schnittstellen der IT-Architekturen ermöglichen völlig neue Business-Ökosysteme über alle Branchen hinweg. Doch was genau ist eine Innovation?
«Denke in Möglichkeiten, nicht in Lösungen oder Technologien.»
Innovation braucht Mut
Von innovativen Produkten bis zum Service oder zu neuen Finanzierungsmodellen: Fast alles lässt sich neu denken – und beinahe alle Unternehmensbereiche profitieren von datenbasierten Innovationen. Zeitgemässe Portale vereinfachen Prozesse, smarte Produkte steigern die Effizienz. Projekte wie Mobility-on-demand machen teure Investitionen in Fahrzeuge überflüssig und schonen Ressourcen. Innerhalb dieses Tornados von Veränderungen müssen sich Unternehmen kontinuierlich erneuern – im Rahmen ihrer aktuellen Produktportfolios und in zukünftigen Märkten. Das ist nicht immer einfach. Denn es bedingt, dass man viel ausprobiert – und dabei auch mal scheitern darf. Hilfreich ist hierfür ein stimmiger Dreiklang aus Rahmenbedingungen, Vorgehensweise und Team.
Von oben gesteuert, von unten getrieben
In innovativen Betrieben fördert die Unternehmensleitung eine Kultur, die Offenheit, Mut zum Neuen und ein konsequentes Hinterfragen des Status quo schätzt. Mitarbeiter:innen erhalten so den Raum, über das Tagesgeschäft hinaus zu denken. Dabei gibt die Unternehmensleitung strategische Ziele vor, die mögliche Umsetzung im Alltag liegt beim Team. Nicht zuletzt müssen Innovationsprozesse auch finanziert werden – hier ist ebenfalls die Unternehmungsleitung gefragt. Studien haben gezeigt, dass gezielte Anpassungen in der Strategie, in der Ausgestaltung des Innovationsprozesses sowie in der Organisation genügen, damit Innovationen deutlich besser gelingen. Innovation fordert aber auch die Menschen im Unternehmen: Wenn sich Prozesse oder Produkte verändern, verschieben sich Aufgabenbereiche oder Selbstverständnisse von Rollen.
Agil und zugleich konsistent
Am Anfang des Innovationsprozesses steht eine Idee oder ein Problem, das es zu lösen gilt. In den vergangenen Jahren haben sich agile Vorgehensmethoden etabliert. Das ist gut so, sorgen sie doch für Schnelligkeit und Flexibilität. Doch Agilität benötigt einen Rahmen, eine Struktur. Denn in der Regel bewegen sich Umsetzungs- und Lösungsansätze in einem komplexen Umfeld. Es reicht nicht, dass ein Unternehmen schnell auf neue Anforderungen reagiert. Genauso entscheidend für den Erfolg ist eine klare, langfristig angelegte Strategie. Agile Methoden sorgen für fokussierte – das heisst schnelle und kreative – Umsetzungen, etwa in Form von Proof of Concepts, Prototypen und sogenannten «Minimum Viable Products». Fundierte Analysen, etwa des Marktes, verschaffen eine ganzheitliche Sicht. Wichtig für einen konsistenten Innovationsprozess sind wechselnde Phasen, in denen das Team den Blick für eine Idee oder ein Problem immer wieder weitet und verengt – und gegebenenfalls Schritte wiederholt oder einen Schritt zurückgeht. Dies schafft Stringenz und Ergebnisorientierung und sichert die Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel.
Warum, warum und warum?
Damit eine Innovation gelingt, muss sie das zu lösende Problem richtig verstehen. Dabei hilft die 5-Why-Methode die wirkliche Ursache eines Problems zu erkennen. Warum bekommt der Helpdesk so viele Anfragen? Weil viele Log-ins gesperrt sind – warum? Die Passwörter wurden zu oft falsch eingegeben – warum? Es gibt verschärfte Passwortrichtlinien – warum? Für einen besseren Schutz vor Missbrauch. Warum jetzt? Das ist eine reine Vorsichtsmassnahme. Die hartnäckige Frage nach dem Warum führt das Innovationsteam an die Wurzel des Problems – und so kann eine optimale Lösung gefunden werden. Zum Beispiel die Einführung einer Zwei-Faktor-Authentifizierung anstelle immer komplexerer Passwortvorgaben.
«Die Kunst der Innovation liegt in der Balance zwischen Agilität und Konsistenz.»
Nutzer:innen sind zentral
Zentral für den Innovationsprozess sind die Nutzer:innen. Häufig befragen Unternehmen diese darum nach deren Bedürfnissen. Das ist wichtig und gut – reicht aber oft nicht aus. Ein Beispiel verdeutlicht, warum: Auch im Handwerk kommen verstärkt batteriebetriebene Elektrogeräte zum Einsatz. Damit einher geht die Sorge der Handwerker:innen, dass das Gerät gerade dann leer ist, wenn sie es brauchen. Eine Befragung ergäbe womöglich das Ergebnis, dass die Profis akkubetriebene Geräte ablehnen. Beobachtet das Innovationsteam dagegen Handwerker:innen in ihrem Arbeitsalltag, können sie unmittelbar erfassen, wie oft und wie lange ein Gerät in Gebrauch ist. Womöglich ist das über den Tag summiert relativ kurz, sodass ein Akku kein Problem wäre. Für den Erfolg eines akkubetriebenen Geräts wäre dann eine flankierende Kommunikation nötig, die die Sorgen der Handwerker:innen zerstreut. Dagegen würde die Investition in einen grösseren Akku diese Sorgen nur bedingt adressieren.
Wettbewerbsvorteile mit Individuallösungen
Gerade zu Beginn eines Innovationsprozesses ist es wichtig, über Bestehendes hinaus zu denken. So verlässt das Team leichter ausgetretene Pfade. Dabei ist wichtig, den Ideen keine Grenzen zu setzen. Ob eine Idee funktioniert oder nicht, lässt sich anschliessend mit relativ wenig Aufwand an Prototypen testen. Gelingt der Test, geht es um Design und das Umsetzen einer Lösung. Oft stellen sich Unternehmen dabei die Frage, ob sie eine Standardlösung nutzen sollen oder ob sich eine Individuallösung lohnt. Diese Entscheidung ist nicht leicht. Tendenziell lässt sich sagen, dass Unternehmen in ihrem Kernbereich nur mit Individualansätzen echte Wettbewerbsvorteile erzielen. So werden zum Beispiel beim innovativen Schweizer Online-Händler Digitec Galaxus wichtige zentrale Systeme individuell entwickelt. Denn der revolutionäre Retailer wollte das Business des Online-Handels neu denken – und sich nicht von technologischen Vorgaben begrenzen lassen.
Vom Zufall zum Glücksfall
Newtons Apfel hat es vorgemacht: In der Innovation spielt der Zufall eine wichtige Rolle. Auch eine Software-Innovation kann «zufällig» durch besonders kreative Verwendung bestehender Komponenten entstehen, die eigentlich für einen ganz anderen Kontext gedacht waren. Mit dem Zufall allein ist es aber noch nicht getan: Unternehmen müssen vielversprechende Ideen auch systematisch erkennen und wirksam in erfolgreiche Produkte transferieren. Eine dezentrale, offene Kultur, eine heterogene und mutige Belegschaft sowie Struktur und Disziplin bei der Umsetzung sind die scheinbar widersprüchlichen Zutaten für ein erfolgreiches Innovationsmanagement.