«Persönliche Begegnungen motivieren mich»
17.06.2020 – Perspektiven
Gabriela Keller (51) ist CEO der Firma Ergon Informatik AG und seit 26 Jahren dort tätig. Sie hat an der ETH Informatik studiert, ein Nachdiplomstudium für Ingenieurinnen in Wirtschaft sowie ein Certificate of Advanced Studies in Executive Management absolviert. Ihr Arbeitsalltag umfasst viele verschiedene Aufgaben: Sie richtet die Strategie der Firma aus, verantwortet die Geschäftsergebnisse und muss oftmals auch schwierige Entscheidungen treffen. Sie pflegt Kontakte und schafft gute Rahmenbedingungen für die Mitarbeitenden und die Unternehmenskultur.
Was macht Ihre Firma?
Ergon umfasst heute 320 Mitarbeitende und namhafte Kunden im In- und Ausland. Wir bieten Technologie-, Security- und Beratungs-Kompetenzen an und realisieren für unsere Kunden und Kundinnen Softwarelösungen im vollen Spektrum der Digitalisierung sowie der digitalen Transformation. Wir haben ein breites Domänenwissen, doch besonders stark sind wir in den Branchen Banken und Finanzdienstleister, Industrie, Detailhandel, Telecom, Gesundheitswesen sowie im Bereich Tech-Start-ups. Bei uns arbeiten Softwareingenieure, UX Designer, Testerinnen, Berater, Fachexperten und Projektleiterinnen.
Was sind Ihre Aufgaben als Geschäftsführerin?
Das umfasst viele und diverse Aufgaben. Ich habe die Linienführung für meine Kollegen der Geschäftsleitung und für weitere Organisationseinheiten. Ich trage die Verantwortung für die Geschäftsleitungssitzungen, die Weiterentwicklung der Firma und unseren Geschäftserfolg gegenüber verschiedenen Interessengruppen: den Kunden, wenn sie in Ergänzung zu den direkten Ansprechpersonen übergeordnete Themen besprechen wollen, den Mitarbeitenden, wenn Dinge über den Rahmen der eigenen Teams und Organisationseinheiten hinausgehen, dem Verwaltungsrat und den Aktionären im Bereich der Geschäftsergebnisse und strategischen Entwicklungen sowie der Öffentlichkeit bei Veranstaltungen, als Arbeitgeberin und als Vertreterin der IT-Branche. Meine Tage bestehen aus zahlreichen Gesprächen und Meetings, Entwickeln von firmenrelevanten Themen, Entscheidungen herbeiführen und treffen, Referaten und Präsentationen. Zusammen mit meinem Team organisiere ich den Firmenalltag, besuche Anlässe und pflege Beziehungen. Die Kontaktpflege ist ein wichtiger Aspekt der ganzen Geschäftsleitung sowie der Projektverantwortlichen. Zusätzlich bin ich in Kommissionen und Verbänden involviert, die sich für den Informatikstandort Schweiz engagieren – ein Thema, das mir besonders wichtig ist.
Was haben Sie heute gemacht?
Heute habe ich eine Einführung für neue Mitarbeitende über die Werte und die Strategie unseres Unternehmens gehalten. Wie funktionieren wir als Firma, was macht uns erfolgreich, wie werden und möchten wir uns weiterentwickeln? In den ersten Monaten begleiten wir neue Kollegen und Kolleinnen mit einem Onboarding-Programm. Das verleiht Einblicke in verschiedene Bereiche, Schlüsselkompetenzen und Abteilungen des Unternehmens und soll den Einstieg erleichtern. Das ist eine typische Tätigkeit, denn als Geschäftsführerin kommuniziere ich sehr viel: Nach innen zu den Mitarbeitenden und nach aussen zu den Kunden und Kundinnen, zu Partnern und zu verschiedensten Stellen und Stakeholdern. Informieren, motivieren, Sicherheit geben, herausfordern und präsent sein als Ansprechperson – alle diese Aspekte gehören zu meiner täglichen Arbeit.
Was ist Ihnen besonders wichtig an Ihrer Arbeit?
Dass wir die bestmögliche Arbeit für unsere Kunden und Kundinnen leisten und sie erfolgreich machen. Und ebenso wichtig ist, dass wir als Ergon-Team Rahmenbedingungen und eine gute Unternehmenskultur haben, die dies ermöglicht.
Was gefällt Ihnen besonders, was weniger?
Die Zusammenarbeit im Team, wenn man sich gegenseitig ergänzt und motiviert. Manchmal gibt es aber auch schwierige Gespräche und Entscheide. Da braucht es Kraft, die Geduld und den Willen für gute Entscheide und eine sorgfältige Kommunikation. Es passiert immer etwas, das besondere Aufmerksamkeit verlangt. Solche Themen beschäftigen mich dann rund um die Uhr. Es ist nicht immer einfach, präsent zu sein, niemanden hängen zu lassen und doch auch Abstand und Erholung zu finden.
Gab es besondere Highlights?
Letzten Herbst konnten wir mit einem Kunden unsere 20-jährige Zusammenarbeit feiern. Wir haben uns gemeinsam weiterentwickelt und unsere Softwaresysteme lösten seine Probleme nachhaltig. Wir müssen uns als Lieferant immer wieder behaupten. Wenn das gelingt, macht mich das stolz. Ein schönes Erlebnis war auch die Eröffnung der VIScon im Oktober 2019, die grösste Computer Science Konferenz der Schweiz an der ETH, die vom Verein der Informatikstudierenden (VIS) organisiert wird. Wir haben den Anlass als einer der Hauptsponsoren unterstützt und ich habe die Eröffnungsrede gehalten. Die Veranstaltung, das Engagement des Organisationskomitees und der Studierenden war beeindruckend. Schön ist natürlich auch, wenn unsere Mitarbeitenden zufrieden sind. Letzten Sommer feierten wir mit einem Drachenbootrennen auf dem Zürichsee unser 35-jähriges Firmenbestehen. Im Anschluss gab es eine gemütliche Grillparty. Der Team-Spirit verbindet uns, und gemeinsam können wir viel bewegen – das ist toll.
Wie sah Ihr eigener Werdegang aus?
Ich bin seit vier Jahren Geschäftsführerin. Nach dem ETH-Studium folgten einige Monate als Assistentin an der ETH. Auf Empfehlung eines Studienkollegen wechselte ich zu Ergon; damals noch als Softwareentwicklerin, 15. Mitarbeiterin und erste Frau im Unternehmen. Die Firma wuchs und zählte 2000 bereits 60 Mitarbeitende. Die Geschäftsleitung wurde erweitert, und mit 31 Jahren eröffnete sich mir die Chance, in diesem Gremium einen Sitz einzunehmen. Ich übernahm innerhalb der Geschäftsleitung verschiedene Rollen; hauptsächlich verantwortete ich die Bereiche Personal und Marketing. 2016 habe ich im Rahmen einer mehrjährigen Nachfolgeplanung den langjährigen Geschäftsführer abgelöst. Bereits die ersten Jahre mit verschiedenen Softwareprojekten und ersten Projektleitungen waren sehr spannend. Mit dem Wechsel in die Geschäftsleitung sind neue Aufgaben dazugekommen. Ab diesem Moment war ich nicht mehr direkt in die Projekte involviert. Ein weiterer grosser Schritt war dann natürlich die Übernahme der Geschäftsleitung selbst. Insgesamt war es eine kontinuierliche Entwicklung.
Welche Weiterbildungen haben Sie gemacht und warum?
Mit dem Einstieg in die Geschäftsleitung wollte ich mein betriebswirtschaftliches Wissen ausbauen und habe folglich ein berufsbegleitendes betriebswirtschaftliches Nachdiplomstudium für Ingenieure absolviert. Das war eine sehr wertvolle Ergänzung zum Studium, zumal ich damals den Fokus auf technische Themen gesetzt hatte. Dank unserer Jahresarbeitszeit war es gut möglich, Vollzeit weiterzuarbeiten, und ich konnte diverse Inhalte und die Abschlussarbeit mit Bezug zur Firma verknüpfen. Ein paar Jahre später haben wir mit einer Gruppe von Ergon-Mitarbeitenden eine Managementausbildung für Unternehmerisches Executive Management an der HSG speziell für uns gestaltet. Das war ebenfalls sehr interessant, weil wir alle gemeinsam das Gelernte in den Arbeitsalltag übertragen konnten. In den letzten zwei Jahren habe ich zudem ein Führungscoaching mitgemacht.
Mit welchen Veränderungen rechnen Sie in den nächsten Jahren?
Die Digitalisierung verändert vieles, und das erst noch sehr schnell. Unsere Branche profitiert davon und ist gleichzeitig auch selber stark betroffen. Unsere Kunden sind Firmen, die ihr Geschäft auf den nächsten Level bringen und dafür Software brauchen. Die Technologien, die wir dafür benutzen, verändern sich rasch. Wir müssen einen guten Überblick haben und uns laufend weiterentwickeln. In unserer Firma haben die verschiedenen Teams viele Kompetenzen und arbeiten sehr eigenverantwortlich. Dieser verteilte Ansatz ermöglicht es uns, viele Erfahrungen zu sammeln und immer besser zu werden. Für uns als Geschäftsleitung gilt es, dafür einen guten Rahmen zu schaffen.
Weshalb haben Sie damals Informatik studiert?
In der Schule konnten wir Informatik als Wahlfach besuchen. Mathematik und Naturwissenschaften haben mich immer interessiert, und das Programmieren hat mir Spass gemacht. Ohne viel zu überlegen, habe ich das Studium an der ETH angepackt. Obschon ich dort gefordert war, wusste ich irgendwie immer, dass ich am richtigen Ort war. Ich würde wieder gleich entscheiden.
Welchen Ratschlag würden Sie Studieninteressierten mitgeben?
Informatik ist ein sehr breites und ebenso spannendes Berufsfeld mit besonders vielen Perspektiven. Softwareentwicklung verlangt eine gute Grundausbildung, die in verschiedenen Lehrberufen und an den Hochschulen erworben werden kann. Die Schweiz bietet dazu viele gute Ausbildungen. Neben den reinen Informatikausbildungen gibt es immer mehr Berufe mit engem Bezug zur Informatik, z.B. im Bereich User Interaction Design, Medizininformatik oder Recht. Diese Interdisziplinarität ist ebenfalls sehr spannend und bietet gute Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Denn eines ist sicher: Durch die Digitalisierung ändern sich zahlreiche Tätigkeitsfelder, und lebenslanges Lernen ist essenziell, um mit den Veränderungen mitgehen zu können.