Moderne Software-Entwicklung: «Survival of the Fittest»

06.07.2020

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Dieser Beitrag ist erschienen im Ergon Magazin SMART insights 2020. Magazin kostenlos bestellen ->


Durch Innovation und technologischen Fortschritt ist Software ein businesskritischer Bestandteil geworden. Software-Innovation durchdringt mittlerweile alle Lebensbereiche und stellt ganze Branchen auf den Kopf. Wer heute etwas bewegen will, kommt nicht darum herum, muss kontinuierlich dranbleiben und sein Umfeld verstehen. Letztlich sind die Software-Projekte erfolgreich, die die Bedürfnisse ihrer Nutzer identifizieren und erfüllen können, denn aus Bedürfnissen sind oftmals neue Chancen abzuleiten.

Software wird zunehmend komplexer: Neue Technologien, Methoden und integrierte Ansätze verstärken dies. Die Geschwindigkeit nimmt zu und Unternehmen stehen unter Druck, sich kontinuierlich zu entwickeln, agil und kundenorientiert zu sein. Herkömmliche und bewährte Geschäftsmodelle werden infrage gestellt und neu definiert. Mit der Zeit zu gehen, richtig zu priorisieren und Fokus zu wahren, wird überlebenskritisch.

Umso wichtiger ist die Kenntnis der Kundenbedürfnisse, denn sie stellen neue Chancen dar. Diese schnell zu erkennen, zu verstehen und umzusetzen, ist relevant, um wettbewerbsfähig zu bleiben – es setzt natürlich auch hohe Reaktionsfähigkeit und klaren Fokus voraus. Doch wie erkennt man Kundenbedürfnisse kontinuierlich? Und wie priorisiert man?

Patrick Federi, Ergon

«Wird die Nutzer­erfahrung während der Entwicklung nicht berück­sichtigt, verfehlt man ziemlich sicher das Ziel.»

Patrick Federi Head of User Experience Design, Ergon

Das Gesamtbild verstehen

Unternehmen, die ihr Umsatzwachstum beschleunigen möchten, investieren hohe Beträge in die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen. Digitalisierungsverantwortliche stehen unter Druck, zwischen unzähligen Bedürfnissen und Anforderungen zu navigieren, Prioritäten zu setzen, um möglichst schnell und unter Einhaltung des Budgets Lösungen auf den Markt zu bringen.

Trifft man die falschen Entscheidungen, verpasst man nicht nur das Ziel, sondern riskiert eine schlechte Kundenerfahrung oder dass man nachbessern muss. Nachbesserungen gehören in einer agilen Entwicklungsumgebung dazu, doch ohne klaren Fokus gehandhabt, könnten sie grosse Teile von Innovationsgeldern schlucken. Fast immer ist es wirtschaftlicher, erst ein Minimum Viable Product (MVP) zu erstellen und zu testen, statt ein vollständiges System oder Produkt zu entwickeln, das im Nachhinein auf der Grundlage von Nutzer-Feedback geändert werden muss. Wird die Nutzererfahrung während der Entwicklung nicht berücksichtigt, verfehlt man ziemlich sicher das Ziel. Im Zeitalter von Angebotsüberfluss und schwindender Kundenloyalität kann eine nicht zufriedenstellende Erfahrung allein in Sekundenschnelle zum Absprung und zum Übergang zur Konkurrenz führen und sich negativ auf das Image und somit den Unternehmenserfolg auswirken.

Ein Kundenbedürfnis stellt eine Aufgabe dar, die der Kunde mit dem Kauf eines Produkts oder einer Dienstleistung zu lösen beabsichtigt. Software-Teams, die «Business denken» und «Business reden», haben dies verinnerlicht und sind daher bei komplexen Vorhaben erfolgreicher. Sie verstehen das «Warum» hinter ihren geschriebenen Software-Codes und sind so effektiver als Teams, die Code blind nach den ihnen zur Verfügung gestellten Spezifikationen schreiben. Sie verstehen die Bedürfnisse der Endkunden und arbeiten zielorientiert. Das Motto ist: zufriedene Kunden und qualitativ hochwertige Software.

Auch auf die äusseren Werte kommt es an

Wo früher in der Software-Entwicklung hauptsächlich «innere Werte» wie Funktionsumfang, Effizienz und Geschwindigkeit im Vordergrund standen, müssen heute zusätzlich hohe Ansprüche an das «Äussere» erfüllt werden. Eine einfache und intuitive Bedienung ist Pflicht, ebenso ein optisch ansprechendes Erscheinungsbild. Ist die Applikation zu komplex oder nicht intuitiv, wird sich der Nutzer eine Alternative suchen.

Es gilt, die Applikation so zu gestalten, dass sie den Nutzer optimal unterstützt, Aufgaben zielgerichtet und ohne Störfaktoren erledigen zu können. Gelingt dies, spricht man von guter Usability. Ein ansprechendes Design trägt dazu bei, die Nutzerführung optimal zu gestalten sowie die Aufmerksamkeit des Nutzers zu gewinnen und zu halten. Klare visuelle Akzente sind entscheidend, um das beabsichtigte Verhalten zu fördern und Frustration oder Verwirrung zu mindern.

Benutzerbedürfnisse erkennen

Bedürfnisse zu erkennen, deren Relevanz zu bestimmen und daraus ein weiteres Vorgehen abzuleiten, klingt offensichtlich, bedingt aber eine umfassende Nutzerforschung, sogenannte User Research. Der Schlüssel ist, klein anzufangen, ein klares Ziel und absoluten Fokus zu wahren. Je spezifischer und identifizierbarer das Zielsegment, desto weniger Zeit wird es in Anspruch nehmen, ihre Bedürfnisse zu verstehen.

Um den Fokus zu behalten, helfen recherchierte Nutzer-Personas aus dem Zielsegment. Diese repräsentieren grössere Gruppen von Endnutzern mit identischen Zielen und Bedürfnissen. Dank solcher Personas kann sich ein Projektteam seine Nutzer immer wieder vor Augen führen und so gezielter Prioritäten setzen.

Für die Realisierung, die den Menschen in den Mittelpunkt der Lösungsgestaltung stellt, spielt User Experience Design eine wichtige Rolle. Eine Vielzahl von Methoden kann eingesetzt werden, um die tatsächlichen Nutzer in den Entwicklungsprozess miteinzubeziehen oder eine bestehende Anwendung zu evaluieren. Methoden wie z.B. die Beobachtung mit zusätzlicher Befragung im jeweiligen Arbeits- bzw. Nutzungskontext sind bestens geeignet, um detaillierte Informationen zu Nutzern und Prozessen zu ermitteln.

Durch Beobachten und gezieltes Nachfragen kann man analysieren, wie sich Nutzer durch ein digitales Produkt bewegen und welche Pain Points eliminiert werden müssen. Nebst solchen Beobachtungen und kontextuellen Interviews können für komplexere Aufgaben auch Tiefeninterviews oder quantitative Umfragen durchgeführt werden.

Einmal in den Nutzer hineinversetzt und sein Problem verstanden, wird in einem kollaborativen Team, bestehend aus Business, Design und Entwicklung, mittels Methoden wie Design Sprints, User Journey Maps etc., eine mögliche Lösung erarbeitet und in Form von Prototypen bei den Anwendern getestet. Klickbare Prototypen simulieren die fertige Software ohne teure Programmierung. Damit kann die Time-to-Market verkürzt, ein gemeinsames Verständnis geschaffen und eine mögliche Idee validiert werden, sodass man in mehreren Iterationen der Problemlösung näherkommt. Bei einer neuen Produktidee ist diese Phase umso wichtiger, da mögliche Lösungen bis anhin nur basierend auf Annahmen entwickelt wurden.

Digitale Produkte und Dienste können jederzeit den Bedürfnissen der Nutzer angepasst und um neue Funktionalitäten erweitert werden. Daher ist es wichtig, auch nach dem Go-live weiterhin stets auf die Nutzer zu hören, die Software fit zu halten und agil anzupassen

David Nyffenegger, Ergon

«Mut zur Lücke und zu kleinen Schritten: Dies ist oft nach­haltiger als der grosse Wurf.»

David Nyffenegger Team Lead Augmented Reality, Ergon

Mit Fokus zu mehr Relevanz

Das Verstehen der Kundenbedürfnisse allein ist aber kein Garant für ein erfolgreiches Bestehen am Markt. Die beste Idee nützt nichts, wenn sie nicht umgesetzt werden kann. Dem Umsetzungsprozess muss darum mindestens ebenso viel Gewicht beigemessen werden.

Die involvierten Menschen spielen eine tragende Rolle. Häufig wird unterschätzt, wie wichtig es ist, bei Projekten mit den richtigen Stakeholdern zusammenzuarbeiten. Ein kleines – nicht zu kleines –, stabiles und eingespieltes Team mit geteiltem Ziel erreicht mehr als ein grosses, das ständig wechselt. Eine offene, wertschätzende und fehlertolerante Kultur ist Voraussetzung für Vertrauen, fördert die Innovation und steigert die Produktivität. Der Wert eines leistungsstarken Teams ist längst bekannt. Versierte Unternehmer schätzen deshalb die Qualität des Teams oft mehr als die Idee selbst.

Zudem hat die Wahl des Vorgehensmodells grossen Einfluss auf die Reaktionsfähigkeit und die Geschwindigkeit veränderter Marktbedingungen. Agile Vorgehensmodelle wie Scrum versprechen hohe Flexibilität, ohne den Aufbau einer komplizierten Organisation; sie unterstützen schnelle Innovationszyklen und helfen, den Fokus auf Business-Value zu lenken. In einem sich ständig ändernden Umfeld bietet das enorme Chancen. Es braucht aber auch Mut zur Lücke und zu kleinen Schritten: Dies ist oft nachhaltiger als der grosse Wurf. Von Vorteil sind kurze und schnelle Entscheidungswege, klare Zuständigkeiten und Entschlossenheit.

Der Umfang steht in direktem Zusammenhang mit der Time-to-Market: Weniger ist meistens schneller und – wenn die Zeit eine wichtige Rolle spielt – damit auch mehr. Die Fähigkeit, Änderungen aller Art – einschliesslich neuer Funktionen, Features, Konfigurationsänderungen und Fehlerbehebungen – sicher, schnell und auf nachhaltige Weise umzusetzen, ist essenziell, um Software fit zu halten. Werden Projekte und Prozesse so aufgesetzt, dass nahezu jederzeit und mit wenig Aufwand neue Versionen geliefert werden können, kann Nutzern schnell geholfen werden. Unter dem Begriff «Continuous Delivery» finden sich dazu viele bewährte Technologien und Vorgehensweisen.

Damit es zuletzt nicht an der Technik scheitert, ist eine angemessene Architektur unverzichtbar, die sowohl ein gutes Fundament bildet als auch flexibel erweitert werden kann. Der Entwurf, die Umsetzung und der Ausbau einer solchen Architektur setzt viel Erfahrung und Expertenwissen voraus. Technologische Entwicklungen am Markt sollten frühzeitig bei der Realisierung von Business-Anforderungen mit einbezogen werden. Es braucht die richtige Balance zwischen dem Einsatz bewährter Technologie und der Offenheit für den nächsten Schritt. Auf einer solchen Grundlage kann mit weniger Risiko, schneller und zugeschnittener auf neue Bedürfnisse reagiert werden. Und es ist einfacher, den Fokus zu behalten.

Einmal digitalisiert reicht nicht

Menschliche Gewohnheiten und Bedürfnisse sind heute mehr denn je in stetem Wandel – und damit auch die Anforderungen. Digitale Produkte sind deshalb nie fertig, sondern in kontinuierlicher Weiterentwicklung. Hightech, aber menschenzentriert, soll die Software der Zukunft sein. Sie ist komplex, vernetzt, intelligent und nutzerfreundlich zugleich. Eine kundennahe Software-Entwicklung ist daher unumgänglich und ein Prozess, der stets neue Chancen eröffnet. Um relevant zu bleiben, müssen Unternehmen eine enge Beziehung zu den Nutzern – ihren Kunden – aufbauen und diese regelmässig pflegen, um schnell auf tatsächliche Bedürfnisse reagieren zu können – immer und immer wieder. Für einen nachhaltigen Erfolg ist es daher umso wichtiger, Software fit zu halten – und das von Anfang an.

Dieser Beitrag wurde verfasst von David Nyffenegger, Team Lead Augmented Reality, und Patrick Federi, Head of User Experience Design.

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