Strategie oder Agilität?

11.04.2018 – Michael Schröder

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Fachbeitrag für Computerworld vom 11. April 2018

Wie können Unternehmen im komplexen Umfeld von ständig neuen Trends echte Wettbewerbsvorteile erzielen? Der vorliegende Artikel schlägt ein kombiniertes Vorgehen von Strategie und Design-Thinking-Ansätzen vor.

Unternehmen müssen sich in der Digitalisierung sowohl aus externer und interner Perspektive wie auch aus der Perspektive ihrer Produkte richtig positionieren. Dies ist keine leichte Aufgabe, da es in allen Bereichen vielfältige Weiterentwicklungen und Trends gibt.

Wettbewerb im Tornado von Veränderungen

Überlegungen zur Digitalisierung beginnen häufig mit der externen Sicht, da diese die Kunden und das Umfeld des Unternehmens umfasst und hier meist ein grosser Digitalisierungsdruck besteht.

  • Kunden erwarten durchgehend digitale Benutzererfahrungen. Im Zwei- bis Dreijahresrhythmus kommen neue Ansätze als «gute Praxis» hinzu, zum Beispiel Augmented Reality in der Kundeninteraktion.
  • Märkte entwickeln sich global rasant weiter. Konkurrenten und marktfremde Teilnehmer bedrohen das eigene Geschäft, zum Beispiel Alphabet und Amazon, die in immer mehr Bereiche vordringen.

Aus physisch wird digital

Aus Sicht der Produkte und Dienstleistungen…

  • …werden physische Produkte «digital angereichert» (z.B. Autos mit Konnektivität und Zusatzfunktionalitäten bis hin zum autonomen Fahren) oder bekommen einen «digitalen Zwilling» (digitales Abbild eines physischen Objekts inklusive Messdaten).
  • Zusätzlich zu den physischen Produkten werden digitale Dienstleistungen angeboten. Ein Beispiel sind smarte Ventile in der Gebäudeautomation, deren Messdaten für mehr Raumkomfort ausgewertet werden.
  • Im Extremfall werden die bisherigen Produkte oder Dienstleistungen gänzlich ersetzt.

Vorteile für unternehmensinterne Prozesse

Auch aus interner Sicht bieten sich Chancen:

  • Die intern vorhandenen Daten können analysiert werden für bessere Entscheide, zusätzlichen Kundenmehrwert oder neue datenbasierte Produkte. Ein Beispiel ist die Kombination und Analyse verschiedener Messdaten für die «vorausschauende Wartung» statt fixer Wartungsintervalle.
  • Prozesse werden genauer gemessen, automatisiert oder ganz ersetzt. Dies kann die Wertschöpfung von Unternehmen deutlich effizienter und qualitativ besser machen.
  • Für die Mitarbeitenden entstehen neue Formen der orts- und zeitübergreifenden Zusammenarbeit. Mit der Verschiebung zu den digital Natives und zur Generation Y entstehen auch neue Ansprüche: eine agile und mitarbeiterorienterte Ausrichtung ist für wissensintensive Branchen mittlerweile schon fast Pflicht und muss die bestehende Kultur transformieren.

Aus technologischer Sicht kommen in rascher Kadenz neue Innovationen hinzu. Sie bieten mögliche Business Cases, müssen aber in der Umsetzung gemeistert und in die aktuelle Landschaft integriert werden. Aktuelle Topthemen sind Machine Learning und künstliche Intelligenz, Internet of Things, Augmented und Mixed Reality sowie Blockchain.

In diesem «Tornado» von immer schnelleren Veränderungen, von Chancen und Risiken gilt es, die richtigen unternehmerischen Entscheide zu fällen.

Agil und klassisch kombinieren

Abb. 1: Spezifische Schwerpunkte und Gemeinsamkeiten agiler und klassischer Ansätze.

Die Begeisterung für agile Methoden und Design Thinking-Ansätze ist heute sehr stark ausgeprägt. Kritik am «althergebrachten» Ausarbeiten von Strategien wird laut: «Wer macht denn heute noch eine Strategie? Im Silicon Valley würde man das nie tun!», war das Originalzitat eines Beteiligten im Kontext eines digitalen Innovationsprojekts. Dabei helfen Strategien ja genau, trotz vielen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten Prioritäten zu setzen und langfristig ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wir schlagen deshalb vor, das Beste aus beiden Welten zu kombinieren (siehe Abb. 1).

Abb. 2: Strategie und agiles Vorgehen kombiniert mit eng gekoppelter, naher Umsetzung.

Die gemeinsamen Aspekte weisen darauf hin, dass beide Ansätze gar nicht so weit auseinander liegen, wie häufig gedacht wird. Nun gilt es, aus beiden Ansätzen das jeweils spezifisch Besondere in ein gemeinsames Vorgehen zu integrieren. Dies kann zum Beispiel mit dem vorgeschlagenen phasenweisen Vorgehen passieren (siehe Abb. 2). Es enthält einerseits klassische Elemente (initiale Strategie-/Vorprojektphase, dedizierte Meilensteine für die Budgetierung), aber auch die Essenz von Design-Thinking-Ansätzen (agile, iterative Erarbeitung mit engem Benutzereinbezug und schnellen Prototypen und Tests).

 

Die erste Phase in Abb. 2 zeigt das Erarbeiten einer Lösungsstrategie, in der das Problem analysiert, Lösungsansätze diskutiert und als Proof-of-Concept/Prototyp umgesetzt werden. Daraus entstehen ein Business Case und eine Vorgehensempfehlung. Schon hier sollte in Iteration gearbeitet und so die Idee schrittweise verfeinert werden. Anschliessend folgen das Design und die eigentliche Umsetzung mit agilem und partizipativem Vorgehen. Die erarbeitete Lösungsstrategie ist kein starres Korsett, sondern entwickelt sich basierend auf den Erfahrungen und Feedbacks während der Umsetzung weiter (in Abb. 2 als Feedbackschlaufen illustriert).

Revival der Individualsoftware

Unternehmen können Wettbewerbsvorteile vor allem bezüglich Kosten oder Differenzierung erzielen, indem sie etwas besser, schneller, «einzigartiger» als die Konkurrenz machen. Dies hat im Innovationsbereich zu einem «Revival» der Individualsoftware geführt, weil sie diese Stossrichtungen ideal unterstützt:

  • Strategisch wichtige Prozesse werden mit neuen Innovationstechnologien wie z.B. Machine Learning schneller umgesetzt.
  • Unternehmenseigene Differenzierungsansätze werden schnell und individuell am Markt getestet, ohne dass sie in die Roadmap eines Standardprodukts einfliessen.
  • Spricht der Umsetzungspartner die gleiche Sprache und ist räumlich sehr nah, so können die in Abb. 2 gezeigten Phasen sehr informell und die Iterationen äusserst kurz und agil gehalten werden.

Aktuelle Beispiele für individuelle Software-Entwicklung als Basis für Wettbewerbsvorteile sind Online-Shop und ERP von Digitec.ch, die Software in den Hochpräzisionswaagen von Mettler-Toledo oder – um auch Ergon-Beispiele zu nennen – die neue App-basierte Säule-3a-Lösung von Viac oder die Warenwirtschaft von Coop. Alle Beispiele wären ohne Individualsoftware nicht in dieser einzigartigen Form denkbar.

Fazit

Trends und Veränderungen sind im aktuellen digitalen Zeitalter überwältigend. Unternehmen können hier jedoch echte Wettbewerbsvorteile erzielen, wenn sie einerseits langfristig und ganzheitlich (d.h. «strategisch) denken und gleichzeitig kurzfristig und agil (z.B. mittels Design-Thinking-Ansätzen) ihre spezifischen Innovationsideen umsetzen.