IT-Shrink: Die Informatik als Menschenfresser

Zürich, 21.09.2015 – Annette Kielholz

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Kolumne für Inside-IT am 21. September 2015

 

Liebe Informatik, nachdem wir uns in den letzten zwei Sitzungen etwas besser kennen gelernt haben, wird es Zeit, dass wir intensiver über unangenehme Dinge sprechen.

Kommen wir gleich zur Sache: Du kommst oft so richtig schlecht an. Ich meine jetzt nicht die Nerds, die zum Programmieren Pizza futtern, die hatten wir ja schon. Nein, es geht um Grundsätzliches. Neulich, auf einer Podiumsdiskussion stellte zum Beispiel der Moderator die Frage, ob du nicht in Zukunft alle unsere Arbeitsstellen wegrationalisieren wirst. Natürlich haben das die Männer und die Frau auf dem Podium einstimmig verneint – aber der Moderator ist ja nicht der einzige! Es gibt Zeitungsartikel, Videos, Vorträge und Warnrufe weltberühmter Wissenschaftler – sie alle wollen uns auf die eine oder andere Art deutlich machen, dass du uns Menschen überflüssig machen oder gar zerstören wirst.

Ich habe ein paar Arbeitskollegen gefragt, was sie dazu meinen. Die müssen es ja wissen, schliesslich haben sie mehrheitlich an der ETH Zürich studiert. Das Resultat meiner nicht repräsentativen Umfrage: die Neinsager (Nein, die Informatik wird uns Menschen nicht überflüssig machen) sind klar in der Überzahl. Aber es gibt dennoch auch diejenigen, die nicht ausschliessen, dass nicht nur das Programmieren von Routineaufgaben oder E-Banking-Applikationen wegfallen wird, sondern auch die Menschen selbst als überzählig ausscheiden, weil die künstliche Intelligenz der Zukunft sie als nicht moralisch einwandfrei identifiziert und vernichtet.

Ja, Herrgott Sternen, Informatik, was hast du da bloss angerichtet? Du kannst einen schon gruseln machen, zwischendurch sogar mich, die ich dir ja beistehen sollte.

Bemerkenswert ist immerhin, dass du nicht nur Schwarzmaler auf den Plan rufst, sondern auch die Enthusiasten, die wie die Lemminge jedem deiner neuen Trends hinterher rennen (aktuell: Internet der Dinge, Big Data, Machine Learning, Digitalisierung ...) und aus dem Jubeln über das enorme Potential und die grosse Wertschöpfung nicht mehr herauskommen.

Diese enthusiastischen Menschen begegnen einem jedoch vor allem innerhalb der IT-Branche, während es die Schwarzmaler auch (vor allem?) ausserhalb gibt.

Nun kann man ja weder den einen (den Schwarzmalern) noch den anderen (den Enthusiasten) so richtig Recht geben. Das wäre zu einfach, wie die Vergangenheit immer wieder gezeigt hat. Die Vergangenheit zu konsultieren, finde ich sowieso recht hilfreich. Wenn du mir Angst machst, führe ich mir jeweils vor Augen, dass die Menschen zuerst nicht Eisenbahn fahren wollten, weil sie fürchteten, die Geschwindigkeit könnte ihrer Seele schaden. Ich erinnere mich an die Anekdote, dass amerikanische Farmer mit Gewehren auf die Leinwand des ersten Kinos schossen. Oder ich lache darüber, dass noch in den 1980er-Jahren in einer linken Schweizer Zeitung Sabotagetricks veröffentlicht wurden, um eine Computertastatur zu zerstören (Kaffeerahm drübergiessen, hier nachzulesen). Das lasse ich mir durch den Kopf gehen und frage mich, ob unsere Enkel ebenso über uns lachen werden wie wir jetzt über die früheren Generationen?

Wie dem auch sei, liebe Informatik: Ich habe den Eindruck, wir müssen an mindestens zwei Fronten zusammen weiter arbeiten. Einerseits müssen wir identifizieren, wo du uns wirklich in Schwierigkeiten bringst – und zwar in der Gegenwart. Denn die Zukunft ist mit zu vielen Unsicherheiten behaftet, und wer weiss schon, ob nicht ein Meteoriteneinschlag oder ein anderes, viel handfesteres Ereignis unsere ganzen Sorgen um die spätere Zukunft über den Haufen werfen wird. Aber wenn die "Informatik als Job- und Menschenfresser" so ein allgegenwärtiges Thema ist, müssen wir uns das ganz genau anschauen.

Wir sollten aber auch zusammen herausfinden, wo deine Stärken liegen und wo du faszinierend und attraktiv bist. Die meisten Nicht-Informatiker wissen viel zu wenig über dich und können dich darum auch nicht einschätzen. Kein Wunder, dass sie dann den Schwarz-oder Weiss-Malern auf den Leim kriechen. Du solltest lernen, besser zu kommunizieren und mehr über dich zu erzählen. So könnten viel mehr Menschen - gerade auch ausserhalb der IT-Branche - anfangen, gründlich über dich nachzudenken und sich eine differenzierte Meinung über dich zu bilden. Wäre wünschenswert, denn du bist ja schliesslich nicht irgendjemand, sondern recht prägend für uns – ob wir dich mögen oder nicht.

 

Dieser Beitrag erschien in der Kolumne «IT-Shrink» auf inside-it.ch