Agile Leadership

Zürich, 23.05.2014 – Gabriela Keller und Annette Kielholz

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Fachartikel für Computerworld vom 23. Mai 2014

Die Informatik hat unsere Arbeitsweise tiefgreifend verändert, von der Wahl der Kommunikationsmittel bis zur unternehmensinternen Organisation. IT-Firmen haben dabei oft eine Vorreiterrolle gespielt. Wie bewährt sich das neue agile Management in der Praxis?

Wissensarbeit wie die Software-Entwicklung setzt eine hohe Qualifikation der Mitarbeitenden voraus. Doch damit die Resultate überzeugen, muss auch das Arbeitsumfeld stimmen: Die Mitarbeitenden sollten Freude an der Arbeit haben und von ihrem Arbeitgeber dazu motiviert werden, im Sinne der Firma unternehmerisch zu handeln. Dadurch steigen die persönliche Leistungsbereitschaft und der Wille, bis zum Schluss mit hohem Qualitätsanspruch an einem Projekt mitzuarbeiten. Viele dieser Punkte wurden schon 2001 im «Agile-Leadership-Manifest» adressiert. Doch, was heisst «Agile Leadership» in der Praxis?

Ergon setzt seit der Gründung vor 30 Jahren auf basisdemokratische Prinzipien, die diesem neuen Managementbegriff in vielem ähnlich sind. Wir haben einige wichtige Prinzipien des Manifests (dezentrale Organisation, Entwicklungsprozess, geeignetes Arbeitsumfeld) anhand unseres Berufsalltags überprüft und daraus folgende Schlüsse gezogen.

Moderieren statt befehlen

Selbstorganisierte Teams bringen die besten Resultate, heisst es im Manifest. Wie kann so eine Organisationsform konkret umgesetzt werden? Ergon pflegt eine Firmenkultur, die auf das Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitenden setzt. Die Teams sind dezentral organisiert. Damit sie unternehmerisch mitdenken und fundierte Entscheide treffen können, haben sie Zugang zu allen  geschäftsrelevanten Themen und Zahlen. Die Abteilungen funktionieren innerhalb ihres Markts als unabhängige Einheiten und legen ihre Strategie und das Vorgehen in den Projekten selbstständig fest. Jedes Team pflegt den direkten Kontakt zu seinen Kunden. Die Geschäftsleitung hat in diesem Gefüge eher eine moderierende Rolle und stellt sicher, dass der Informationsfluss über die Abteilungen hinweg gewährleistet und die Arbeitslast gut verteilt ist.

Das führt zu einem eher ungewöhnlichen, blumenförmigen Organigramm (vgl. Abb.). Unsere bisherige Erfahrung damit ist positiv,  die dezentrale Struktur mit kleinen Teams hat sich auch im Wandel zur mittelgrossen Firma mit nun 200 Mitarbeitenden bewährt.

 

Änderungen (bedingt) willkommen

Ein digital erstelltes Produkt ist nie perfekt und kann permanent überarbeitet und weiterentwickelt werden. Diese Chance und Herausforderung gilt insbesondere für die Software-Entwicklung. Ein agiles Prinzip ist, dass Anforderungsänderungen selbst spät in der Entwicklung willkommen sind, weil man dadurch zum Wettbewerbsvorteil des Kunden beitragen kann. Hier unterscheidet sich die agile Software-Entwicklung grundsätzlich von traditionellen Produktionsprozessen wie zum Beispiel dem Bau eines Hauses. Das Fundament und die Wände eines Hauses können ab einem bestimmten Punkt nicht mehr verändert werden – bei einer Software hingegen kann man im Laufe der Weiterentwicklung bestehende «Wände» einreissen und neue «Räume» anbauen, ohne dass das Gesamtgerüst gefährdet ist.

Aus unserer Erfahrung gilt das Prinzip der «Änderungen bis zuletzt» nicht uneingeschränkt. Die Gefahr besteht, dass man sich in kleinen Lieferintervallen verliert, das grosse Ganze nicht mehr im Fokus hat oder zu vielen neuen Anforderungen des Kunden gerecht zu werden versucht. Dieses Problem ist auch bei Ergon schon aufgetaucht und gehört zu den Lernerfahrungen von Teams auf dem Weg zum agilen Unternehmen.

Damit die Gesamtsicht gewährt ist, führen wir gerade in grossen Projekten regelmässige Planungstreffen mit den Kunden durch und legen die Umsetzung der Projektanforderungen in enger Zusammenarbeit mit ihnen fest. Dazu gehört, die Balance zu finden zwischen dringenden und zwingenden Kundenwünschen und denjenigen, die nicht im gesteckten Rahmen realisiert werden können. Diese Kompetenz ist für die beteiligten Software-Entwickler zentral und wird im digitalen Arbeitsumfeld für uns alle zunehmend wichtig.

Transparente Löhne

Statt Zielvorgaben solle man einfach ein geeignetes Umfeld sicherstellen, dann würden die Mitarbeitenden schon das richtige Resultat bringen – so ein weiteres agiles Prinzip. Doch: Welches Umfeld ist förderlich und welche Unterstützung brauchen eigenverantwortlich arbeitende Fachkräfte? Hier gibt es sicher zahlreiche verschiedene Möglichkeiten und gerade IT-Firmen zeichnen sich in der Schweiz immer wieder durch besonders gute Arbeitsbedingungen für ihre Mitarbeitenden aus. Von den 15 bestplatzierten Firmen über alle Branchen im Great-Place-to-Work-Award 2014 sind beispielsweise 10 aus der IT. Die Agile-Leadership-Prinzipien betonen für ein gutes Klima die Wichtigkeit von motivierten Mitarbeitenden (als Treiber eines Projekts), den persönlichen Austausch der Projektbeteiligten (Face to Face) untereinander und  regelmässige Selbstreflexion der Teams.

In unserem Unternehmen werden Engagement und Arbeitszufriedenheit mit den basisdemokratischen Prinzipien Gleichheit, Transparenz, Beteiligung und Mitbestimmung gefördert. So wissen alle Mitarbeitenden jederzeit, wie es dem Unternehmen geht und wie sich die Firma weiterentwickelt, und haben so optimale Entscheidungsgrundlagen für ihre Geschäfte. Die Mitarbeitenden kennen das Salär- und Bonussystem und die Löhne ihrer Arbeitskollegen. Das Lohnsystem basiert auf transparenten Prinzipien: Wer die gleiche Ausbildung und gleich viel Erfahrung hat, verdient auch gleich viel.

Beteiligung an Risiko und Gewinn

Für die Motivation wichtig ist sicher auch die Art, wie man Mitarbeitende an Risiko und Erfolg einer Firma beteiligt. Bei Ergon werden unter dem Jahr jeweils nur 80 Prozent des Monatslohns ausbezahlt, die restlichen 20 Prozent nur bei genügend gutem Geschäftsgang im Dezember. Dafür wird ein grosser Teil des  Unternehmenserfolgs als zusätzlicher Bonus verteilt, aber nicht abhängig von individuellen Zielvereinbarungen, sondern vom Gesamterfolg der Firma. Damit rückt das individuelle Konkurrenzdenken in den Hintergrund. Die Mitarbeitenden unterstützen sich über Projekte und Organisationseinheiten hinweg und stellen einander ihr Wissen zur Verfügung. Die Erfahrungen damit sind positiv: Auch ohne persönliche Jahresziele ist die Leistungsbereitschaft sehr hoch, und durch die enge Zusammenarbeit in den Teams besteht eine gewisse soziale Kontrolle, sodass es bisher praktisch keine «schwarzen Schafe» gegeben hat, die diese Situation ausnützen und zu wenig Leistung zeigen.

VetoRecht: Wir bleiben in Zürich!

Bei Ergon haben alle Mitarbeitenden die Möglichkeit, durch Mehrheitsentscheid gegen Beschlüsse ihrer Leitung ein Veto einzulegen – auch gegenüber der Geschäftsleitung. Vom Vetorecht wurde bisher einige wenige Male Gebrauch gemacht, zum Beispiel bei der Weiterentwicklung des Salärsystems vor ein paar Jahren. Im Dialog ist schliesslich eine bessere Lösung entstanden, als die von der Geschäftsleitung ursprünglich vorgeschlagene.

Bei Grundsatzentscheiden stimmen die Mitarbeitenden im Voraus ab. So wurde zum Beispiel per Urabstimmung ein Umzug von Ergon aufs Land abgelehnt, auch wenn durch tiefere Mieten die Löhne gestiegen wären. Zur Mitarbeiterzufriedenheit tragen die kurzen Arbeitswege und die zentrale Lage offenbar mehr bei als das zusätzliche Geld.

Diese Unternehmenskultur der Mitbestimmung führt immer wieder zu leidenschaftlichen Diskussionen und fordert von allen Beteiligten Konfliktfähigkeit. Gerade die offene Gesprächskultur wird von den Mitarbeitenden aber sehr geschätzt und führt zu einem grossen Engagement der Einzelnen.

Fazit: Agile Leadership für alle?

Wir glauben, dass Agile Leadership auch für viele Nicht-IT-Firmen Potenzial hat. Es braucht neue Methoden, um mit der immer stärkeren Beschleunigung unserer Arbeitsprozesse durch Digitalisierung und Globalisierung konstruktiv umzugehen. Der Branchenverband Swico hat in seiner Medienmitteilung zur Marktentwicklung 2014 darauf hingewiesen, dass die IT-Branche «neue Konzepte und Tools entwickeln müsse, um die Überlastung und das frühzeitige Ausbrennen der Mitarbeitenden zu verhindern». Unsere Branche befindet sich mit diesem Thema nicht allein auf weiter Flur. Die gesamte Wirtschaftswelt ist von der Beschleunigung betroffen – die Informatik hat jedoch eine Vorreiterrolle eingenommen. Agile Leadership und die vielen spannenden Organisationsformen von beliebten Schweizer IT-Arbeitgebern bieten uns die Chance, auch beim Entwickeln von Strategien für die Arbeitswelt der Zukunft an vorderster Front mit dabei zu sein.

Gabriela Keller ist ETH-Informatikingenieurin, Mitglied der Geschäftsleitung von Ergon Informatik AG und für Personal und Marketing verantwortlich.

Annette Kielholz ist Psychologin lic. phil. und Kommunikationsverantwortliche bei Ergon.